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Die Mitleidssucht

Kennt Ihr diese Personen? Jene, die ständig, immer und überall bemitleidet werden wollen? Jene, die dieses Mitleid gar nicht nötig haben, da doch sowieso alles gut läuft? Jene, die sich deswegen kaum für andere interessieren, da sie meistens mit sich selber beschäftigt sind? Also wirklich liebe Leute, reißt euch mal zusammen und genießt die schöne Welt.„Das ist alles zum Kotzen“, „Voll scheiße hier“ , „Ich mag nicht mehr“, „Keiner macht was mit mir“, „Ich habe XY du musst nett zu mir sein“, „Ich bin so dick“, „Ich bin so was auch immer“. Kennt Ihr diese Sätze genau so gut wie ich? Vermutlich, denn ich benutze sie auch, relativ selten aber ich benutze sie auch. Doch mich machen Menschen wahnsinnig, die diese Sätze ständig benutzen. Tag ein, Tag aus. Als wäre das ganze Leben ungerecht, unfair, oder eben einfach beschissen.

Ich hab kein Mitleid für mich selbst, viel zu selten für dich.
Die letzte Brücke gesprengt, die letzte Grenze in Sicht.
Zwischen Hunderten von Leuten, fühl mich trotzdem allein,
Steh in unsichtbaren Mauern, zwar geborgen, doch klein, bin verloren im Sein.

Ich lebe fast schon nach dem Motto „Es könnte schlimmer sein“, dies ermöglicht es mir, die Dinge so hinzunehmen wie sie kommen, und mich meistens sogar darüber zu freuen. Es könnte zwar auch besser sein, aber wie gesagt auch schlimmer. Temporäre Jammerei à la „Ich hab Hunger“, „Ich muss auf’s Klo“, „Mir ist kalt“ wird es immer geben, aber wie gesagt, nur temporär. In dem Fall dient es eher dazu, meinen Mitmenschen diese Information mitzuteilen, als wirklich zu jammern. Und ich gestehe, manchmal sage ich es nur, in der Hoffnung dass mich jemand unaufgefordert knuddelt. Aber das ist nur bei wenigen Menschen der Fall.

Vor fünf Minuten gekommen, fühl ich mich eigentlich nach gehen.
Den blöden Job nicht bekommen, doch eigentlich wollt ich nur den.
Vermiss im Winter die Wärme und im Sommer den Schnee.
Fällt mir fast nicht mehr auf, wenn ich im Sonnenschein geh, im Sonnenschein steh.

So, aber nun zu dem eigentlichen Punkt der Geschichte, bevor ich hier wieder ausschweife. Mein Vater hat Krebs. Nierenkrebs um genau zu sein. Sie versuchten den Tumor zu „zupfen“ bei mehreren Eingriffen. Bei dem ersten Eingriff, stellten sie fest, dass das nicht möglich ist, bzw. nur eine sehr geringe Erfolgschance bietet, da der Tumor schon zu sehr mit dem Organ verwachsen ist. Der Krebs hat nicht gestreut oder sonst was, es ist „nur“ der Tumor, der rausmuss. Nächste Woche kommt die Niere raus. Doch hier wirds interessant, denn obwohl er, als Arzt, sogar meint er könnte danach wie gewohnt weiter leben, da man sowieso zwei Nieren hat, wird ständig gejammert. „Alter, kranker Mann“ ist seine Lieblingsbezeichnung für sich selbst. Gut, Mitleid sind eigentlich zwei Worte: mit leid-en. Es heißt ja auch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“.

Wenn der Himmel bricht, mir so vieles verspricht.
Kommt der Zweifel in mir, ich hab’s erlebt, ich war schon hier.
Und wenn’s am schönsten ist, ich nichts mehr vermiss, dann nehm ich Reißaus und reiß aus.

Leid teilen ist ja wichtig, jemanden was von seinem Ballast abzugeben ist erleichternd. Je nach Lebensumstand, Erfahrung und Belastbarkeit sehen wir die Dinge und Umstände alle verschieden. Bis zu einem gewissen Grad, bekommt jeder Mitleid von mir, doch ab einem gewissen Punkt geht’s nicht mehr. Jemand der seine Gesundheit nie wirklich geschätzt hat, und sie nie wirklich gut behandelt hat, braucht sich meiner Meinung nach nicht um ewig währendes Mitleid bemühen wenn er/sie mal krank wird. Meine Mitbewohnerin würde vermutlich sagen „Gspia di!“ (=Reiß dich zusammen). Mittlerweile achtet er ein wenig mehr auf seine Gesundheit, ja klar, man weiß Dinge oft erst zu schätzen wenn man sie nicht mehr hat, das ist ja oft so, oder?

Jetzt steht meine Welt still, seit Donnerstagabend.
Bitte öffne die Augen und nimm mich in‘ Arm.
Atemmaschine und Herzgerät, plötzlich hat die Welt für dich zu schnell gedreht.
Aufwärts, in ein unbekanntes Land.

Für manche mag ich jetzt herlos erscheinen, damit komme ich klar. Liegt möglicherweise auch an dem „Es könnte schlimmer sein“-Motto. Für manche ist es ein Drama, wenn sie keine passende Hose zu ihrem Oberteil haben, andere verzweifeln nicht mal dann, wenn sie nicht wissen wie sie ihre eigenen Kinder ernähren sollen. Wie Leben so gesehen, in einer Welt voller Luxusprobleme. Ich weiß nicht wie es ist, kein Dach über dem Kopf zu haben, kein Essen auf dem Tisch, ewig lange für einen Kübel Wasser zu laufen, zu allen möglichen schlimmen Dingen gezwungen zu werden oder das eigene Kind verkaufen zu müssen. Ich weiß nicht wie sich das Alles anfühlt, dafür bin ich dankbar.

Und was wichtig schien, hab das niedergeschrieben.
Fühlt‘ mich so oft in Not, schau ich zurück, lach‘ ich mich tot.
Weil’s mich selbst auffrisst, ich dich so vermiss.
Glaub’s mir, das ist es nicht wert.

Wenn’s am schönsten ist und du nichts mehr vermisst,
dann mach die Augen auf.

Anstatt mir Gedanken über all das zu machen was ich nicht habe, oder was nicht funktioniert, hier mal eine kleine Liste an Dingen, für die ich dankbar bin:

  • Ich wache auf und atme. Ich atme tief ein und aus und weiß, dass es mir gut geht.
  • Meine Dusche funktioniert – nicht immer perfekt – aber sie funktioniert!
  • Ich habe die Nacht in einem gemütlichen Bett verbracht – egal wie lange oder wie kurz ich geschlafen habe – das Bett war gemütlich.
  • Der Café schmeckt fast jeden Morgen gleich gut.
  • Auch wenn der Tag in den meisten Fällen schon verplant ist – ich könnte so viele Dinge tun!
  • Die Sonne scheint!
  • Ich bin gesund, und gebe auch auf meine Gesundheit acht!
  • Auch wenn die Sonne nicht scheint – es ist ein schöner Tag.
  • Ich habe eine große Auswahl an Gewand, die mir die Entscheidung lustigerweise auch nicht immer einfach macht.
  • Ich bin umgehen von Menschen denen ich wichtig bin.
  • Ich bin umgeben von Menschen die ich glücklich mache.
  • Ich durfte eine tolle Schule besuchen.
  • Ich kann essen was ich möchte.
  • Ich habe einen tollen Arbeitsplatz.
  • Ich kann Musik hören – wo und wann ich will ( und das tu ich meistens auch!)
  • Ich kann jeden Tag frisches, sauberes Wasser trinken
  • Ich habe nur eine Allergie.
  • Ich kann reisen, wann und wohin ich will.
  • Ich bin nicht reich, habe viele Ausgaben, aber komme doch immer über die Runden.
  • Ich bin umgeben von wunderschöner Natur.
  • Ich bin gefüllt mit Schmetterlingen.
  • Ich habe wundervolle Freunde.
  • Ich kann Lesen und Schreiben.
  • Ich bin Frei ( oder glaube es zumindest zu sein 😉 ).

Fehlt Euch was in der Liste? Was trifft auf Euch zu?

Keep your Head up – and your Heart strong.

PS: Das Lied ist von Joris und heißt: Im Schneckenhaus.

7 replies »

  1. Interessante Denkübung. Normerlerweise bin ich methodisch-pessimistisch unterwegs, a lá „Was könnte schlimmstenfall passieren? – Wie gehe ich vor, wenn es passiert?“
    Ich merke selber, dass ich dabei allzu leicht vergesse, dass es ziemlich vieles gibt, was einfach nur super ist.

    persönliche Akzentverschiebung (sorry für das pasting aus der Originalliste):
    – Ich wache auf – irgendwie habe ich es also hinbekommen, schlafen zu können
    – Die Dusche funktioniert – und wenn mal nicht, gibt es fünf andere, auf die ich ausweichen kann (Studentenwohnheim)
    – Ich habe die Nacht in einem sicheren Raum verbracht – niemand käme im Ernst auf die Idee, unangemeldet reinzuschneien
    – Der Kaffee-Nachschub ist praktisch unbegrenzt
    – Die Sonne scheint und verhindert, dass der ganze Drecksplanet ( 😉 ) zu einem Schneeball verkommt.
    – Und wenn die Sonne nicht scheint: Schatten ist toll und Regen macht die Luft besser
    – Mein Körper verzeiht mir die meisten Exzesse. Früher oder später
    – Ich habe eine große Auswahl an Gewand und niemand schreibt mir vor, was ich zu tragen habe
    – Ich bin umgehen von Menschen, die meine Eigenbrötlerei mindestens tollerieren
    – Es gibt Menschen, deren Glück mit meinem Glück verbunden ist
    – Es gibt jeden Tag etwas Neues zu lernen
    – Ich kann essen was ich will
    – Die meisten Allergien stoßen anderen Leuten zu
    – Ich komme immer über die Runden, ohne jedem einzelnen Cent hinterher rechnen zu müssen
    – Ich bin umgeben von wunderschöner Architektur
    – Ich kann Lesen und Schreiben – und darf auch lesen und schreiben, was ich will
    – Ich bin frei. Und es gibt Leute, deren Job es ist, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt.

    Ergänzungen:
    – Wenn es eine Information überhaupt gibt, kann ich sie in einer halben Stunde oder weniger auftreiben
    – Auch wenn Menschen nicht immer perfekt sind: Interessant sind sie allemal
    – Keine einzige Ex hat mich für ein A-Loch gehalten
    – den meisten A-Löchern kann man aus dem Weg gehen
    – Freundlichkeit hilft meistens wirklich
    – Man muss nicht glücklich sein, um leben zu können (genialstes Feature am Menschsein überhaupt)
    – Langeweile bedeutet: Alles ist in Ordnung.
    – Stress bedeutet: Dir passiert gerade etwas Interessantes (und das wird später eine tolle Story abgeben)
    – Nichtmal ein Totalversagen würde eine neue Chance verhindern
    – Meistens kommt es nicht halb so schlimm, wie man vorsichtshalber einkalkuliert hat
    – Die meisten Probleme lösen sich von selbst, wenn man sie lässt
    – … und die sich nicht von selbst lösen, kann man meistens selber lösen
    – … oder es gibt jemanden, der sich auf die Sorte Problem, die man selbst nicht gelöst bekommt, spezialisiert hat.

    Preachy stuff:
    – Wenn es Dinge gibt, auf die man stolz ist, heißt das, dass man nicht alles falsch gemacht hat.
    – Wenn es Dinge gibt, für die man sich schämt, heißt das, dass man immerhin lernfähig ist.

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  2. Sehr schoen geschrieben, es geht uns einfach zu gut und fuer manche ist es ein riesen Problem, wenn der Toaster seinen Geist aufgibt und fuer manche faengt da der Spass erst an 🙂 Wir haben eine Tagesregel, 5 minutes to complaint and that’s it for the day. Da muss man sich genau ueberlegen, wann man diese 5 Minuten in Anspruch nimmt, manchmal dann eben gar nicht.

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